1 x  Bad Aibling - Scottsdale  und  zurück

Eine Zeitreise mit Brigitte Gastel  - geschrieben am 1. Oktober 2004





"Und der Apfel fällt nicht weit vom Stamm....", in diesem Fall allerdings fast 9000 Meilen entfernt vom idyllischen Bad Aibling, in das "unkulturelle" Amerika. Mehr weit und breit als groß, deshalb auch "Bummerl" genannt, zog es Brigitte Gastel 1967 in die neue Welt, um das "Fürchten" zu lernen. 

Die Tochter des bekannten früheren "Mangfallboten"-Redakteurs Helmut Gastel, der von 1941 bis 1975 über das kulturelle Leben im Landkreis Bad Aibling/Rosenheim berichtete, wurde früh in ihrem Leben mit Kunst konfrontiert, da der Vater Veranstaltungen wie Opern, Operetten, Schauspiele und Musicals im lokalen Kurhaus organisierte. Vor allem während und nach dem 2. Weltkrieg war Bad Aibling ein kleiner Zufluchtsort für so manche Künstler der nahe gelegenen und schwer bombardierten Großstadt München und es bildete sich mit der Zeit ein kleiner Künstlerkreis, rund um den Malerstammtisch im Cafe Rupp, wo auch das Ehepaar Gastel oft zu Gast war.

Übrigens gab es im Hause Gastel "drei" Aiblinger Ehefrauen und eine Muenchnerin. Die erste Aiblingerin war Brigittes Mutter Katharina, auch Kätherl genannt. Die zweite Gattin war Elvira und es folgte noch Liselotte. Dies nur zur Bemerkung, damit man die "lustigen Weiber von Windsor" auseinander halten kann.

Die Autoren Hans Heyn, sowie das Ehepaar Schoenmetzler haben in ihren wundervollen Büchern bereits ausführlich über diese Künstlerkolonie berichtet.

Obwohl die pummelige Brigitte damals noch sehr klein war, kann sie sich ganz besonders an den "wilden Westen", pardon, "Welden" erinnern, der ihr mit seinem schütteren weißen Haar und einem stets unter den Arm geklemmten Jagdgewehr ("und wo sind Pinsel und Palette?" wunderte sie sich ständig) immer einen kleinen Schrecken eingejagt hat.

Hätten die Gastels damals ein Gästebuch geführt, dann wäre es wohl ein "Who is Who" im künstlerischen Wendelsteingebiet geworden. Die Küche der Mama war oft überfüllt mit Stars und Sternchen, die nur zu gerne von den fettlos gebratenen Kartoffeln mit Tomaten und Zwiebeln kosteten und umsonst auf dem schon sehr ausgeleierten Sofa übernachten durften - glücklich, keinen Bombenalarm mehr fürchten zu müssen - wenn auch die Flucht ins Normale nur für ein paar Stunden gegönnt war.

Das Kätherl saß am Abend oft an einer der Theaterkassen von Rosenheim, Kolbermoor, Brannenburg, Aschau, Ruhpolding, Prien, usw. und kassierte, damit die Künstler wenigstens ein bisserl über die Runden kamen und oft war das "Bummerl" dabei, das sich immer köstlich amüsierte und viel für sein späteres Leben aufnahm. Anscheinend entwickelte sich damals schon eine kleine Schriftstellerin/Schauspielerin. Nicht umsonst ist heute ihr Bruder Norbert Gastell (abstammend von der Muenchner Ehegattin) die deutsche Stimme des bliebten "Homer Simpsons" Mit anderen Worten, sie ist der Spross einer sehr talentierten Familie.

Pünktlich schlafen gehen? Warum? Es konnte ja keine Nonne mit dem Lineal drohen. Allzu gern hätte man aber dem Herrn Gastel des öfteren auf die Finger geklopft, war er doch als "Womanizer" oder "Frauenheld" damals schon bei der katholischen Gesellschaft aufgefallen. Aber die "Kleine" wusste Gottseidank von allem nichts. Und was die Aiblinger betrifft, na ja, da war es damals genau wie heute, statt vor der eigenen Türe zu kehren, tat man das lieber bei den anderen.

Brigitte setzte sich schon früh ins Rampenlicht, denn sie bekam ihre erste Rolle bereits im reifen Alter von drei Jahren in Rosenheim, als das Kind von "Madame Butterfly" ausfiel und man vor lauter Verzweiflung "Bummerl" engagierte. Wer Brigitte kannte, wusste, dass sie alles andere als japanisch aussah. Vornehm blass  wie die Wand, aber mit roten Bauernbacken, großen Augen, leuchtend blau wie der bayerische Himmel und langen weizenblonden Zöpfen - von der "zierlichen" Figur ganz zu schweigen, passte sie hervorragend in einen Kimono. Das Kind sah aus wie ein "Versehen", na ja, im Grunde genommen war sie es doch auch, als Produkt einer illegitimen Liaison der Japanerin mit einem U.S.Soldaten. Ob ihre Liebe für Amerika damals schon anfing?

Sie selbst dachte daran erst etwas später, als sie mit acht Jahren schon "Vom Winde verweht" und "Kalifornische Symphonie" las - ganz passend zu ihrer Persönlichkeit - was sich aber natürlich erst später herausstellte.

Zurück zu Cio-Cio-San und ihrer wundervollen traurigen Arie, dem Traum/Solo jeder Opernsängerin. "Un Bel Di Vedrome", wobei man diskret in die Schneuztücher schluchzte und das Make-up verschmierte und sich nicht seelisch bloßstellen wollte (natürlich nur die Frauen, denn bei Männern hätte es sonst wieder einen Gesprächsstoff gegeben...). Es war alles so schön traurig, als sich Brigitte entschied ins Rampenlicht zu treten - aus Verärgerung, weil ihre geliebte Schlumpl, auch Puppe genannt, nicht auf die Bühne durfte. Sie tippelte zu Madame, in der Zwischenzeit ihr kalkweisses Gesicht der Indianer Kriegsmalerei anpassend, das weizenblonde Haar sehr sichtbar unter der schwarzhaarigen Perücke und zupfte die Sängerin am Kimono, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Zuerst war es außer ein paar Seufzern sehr still im Saal, da sich die Leute total auf Cio-Cio-Sans Lamente konzentrierten. Brigitte bekam aber ihre Beachtung, als man dieses kleine Elendsbündel auf der Bühne erblickte und ein verhaltenes Gekicher von hinten nach vorne machte sich bemerkbar, das im tosenden Gelächter endete, inmitten einer der traurigsten Szenen der Oper.
Puccini drehte sich im Grab um - oh was für eine Blamage seiner Tragik! Der Sopran sang weiter und ließ sich von der kleinen Schauspielerin nicht beirren. Heißt es nicht in Amerika "it ain´t over until the fat lady sings"? Ganz schnell wurde die runde Gestalt von der Bühne entfernt und vorbei waren Brigittes 15 Minuten des Ruhms, die angeblich jedem im Leben zustehen sollen, wenn man den Maler Andy Warhol zitieren will.


Und dann kam die Kunst (nicht unbedingt Andy Warhols...). Die Gastel Familie liebte vor allen Dingen Landschaftsmalereien, Stilleben und manche Figuren (letztere, so lange sie von Leibl, Hilz und Wennerberg stammten). Die schlechten Zeiten damals erlaubten es nicht viele Bilder zu kaufen, aber ein paar schöne Gemälde hingen immer im Wohn- und Schlafzimmer und Brigittes Phantasie grenzte ans Endlose. Was Mueller-Schnuttenbach als Zaun mit ein paar Bäumen präsentierte, war für das Kind ein rasender Zug durch die Landschaft und der arme Wennerberg wurde mit Bleistift korrigiert, sehr zum Entsetzen der Mutter.

Ganz besonders beeindruckte sie Mueller-Samerbergs "Pastorale". Das Lamm auf dem kleinen Hügel gefiel ihr besonders und sie versetzte sich an dessen Stelle und genoss die Einsamkeit, Stille und das Friedvolle der Landschaft. Sie war ja selbst noch sehr unschuldig und wartete ungeduldig auf die Zukunft. Die Erinnerung an diese Vergangenheit macht etwas wehmütig, da Brigitte in ihrem Leben nicht nur glückliche Momente erwartet haben.

Professor Urban kannte sie nur aus den Berichten ihrer Mutter. Danach soll Urban auf dem Heimweg gerne ein Gänseblümchen für seine Frau als Geste der Liebe gepflückt haben, was dem Kind natürlich sehr gefiel. Seine Landschaften waren ihr fremd, und da sie  noch nie das Alpengebiet verlassen hatte, wunderte sie sich über die Farben, die Eigenartigkeit der Gebäude und die Formen der Flora. Was ihr aber all das näher brachte, war ihre Schulfreundschaft mit Urbans Großnichte Franziska Raza. Beide fühlten sich ein bisschen außerhalb der Rolle, jede mit ihren eigenen Problemen und Gefühlen beschäftigt und doch einander eng verbunden. Diese Freundschaft besteht heute noch und ist letzten Endes - bedingt durch die Lebensumstände -  fast ihre einzige Beziehung zu Aibling geblieben.

Damals tauschte man viel, die Zeiten waren schlecht und die Künstler und Kunden waren sehr flexibel bei ihren Verkäufen und Ankäufen. Am wichtigsten waren wohl die Lebensmittel um sich über Wasser zu halten. Geld als solches war nicht viel wert und man wusste anfangs nicht, ob die neu eingeführte D-Mark sich auch halten würde. Zuerst gab es ja Reichsmark und diese Scheine waren am Ende nur mehr als Toilettenpapier brauchbar. Schmuck war ebenso begehrt, denn er ließ sich immerhin wieder in Lebensmittel umsetzen. Vieles drehte sich ums Essen und man sah es Brigitte an, die diesem Subjekt wirklich viel Beachtung schenkte und immer am "Auftanken" war.

Als Brigittes Mutter 17 Jahre alt war, wurde sie von Sepp Hilz skizziert (wie so viele andere shöne Aiblinger Mädels) und Sepp wollte sie als Vorbild für die bayerische Venus haben. Da sie aber unter dem "gesetzlichen" Alter war und er sich keine Schiefer einziehen wollte, musste er ihre Mutter um Erlaubnis bitten.  Die einfache Frau, die ihre Moral hochhielt, wie halt damals üblich, war total entsetzt, dass man ihre Tochter nackt malen wollte und titulierte den Sepp Hilz als "a Saubaer" .Und damit wurde nichts mit der bayerischen Venus.  Das heute 82jährige Kätherl bereut es immer noch, dass sie damals nicht die Erlaubnis erhielt, denn dieses Gemälde hätte sie unsterblich gemacht.  

Tja und den Rest wissen wir ja. Hilz malte das hübsche Annerl Meierhanser und erreichte den Ruhm, der ihm gebührte. Das Kätherl blieb eine Skizze und später kaufte Helmut Gastel dem Maler das Bild ab und gab es seiner Frau als Geschenk. Kurioserweise malte Sepp Hilz während dieser Zeit auch Helmut Gastels letzte Frau, Liselotte, die den Titel "Das Mädchen mit der roten Kette" erhielt und somit blieb alles in der Familie, zumindest für eine bestimmte Zeit. Leider wurde dieses Bild -  wie so viele andere Kunstgegenstände - gestohlen und wird heute in Amerika vermutet.

Tief verwurzelt mit diesen Geschichten und ständig von Kunst umgeben, entwickelte sich Brigitte, wenn auch als Spätzünder (denn mit den Teenagerjahren kamen Elvis Presley und James Dean in ihr Leben und die Liebe zur Kunst wurde ins Unterbewusstsein geschoben, aber nie vergessen. Wurzeln vergisst man nicht....).Das Abenteuer steckte in ihrem Blut und ganz besonders das Reisen und was sich vor 30 Jahren einmal als "Neckermann machts möglich" präsentierte, artete bei ihr in Emigration aus. Die große Welt lockte und sie ließ ihre Heimat hinter sich oder im Stich, wie es von manchen ausgelegt wurde.

Zuerst mit Ehe und Kindererziehung beschäftigt, fühlte Brigitte eine Leere in ihrem Leben und die Sehnsucht nach der Heimat wurde immer stärker. Aber statt wie andere "Heimzukehren", lernte sie neben weiteren Ehemännern (das Erbe Helmut Gastels musste ja schließlich gepflegt werden!), das damals noch neue Internet kennen und studierte intensiv alles was mit Kunst, aber auch mit Genealogie und Reisen zu tun hatte.

Neben ihrer Liebe für die bayerischen Maler, interessierte Brigitte sich auch bald für die kalifornischen Plein Air Maler (sie wohnte an der Küste Kaliforniens) und für die U.S.Ostküsten Größen (sie wohnte an der Küste Rhode Islands), sowie letztendlich für Scottsdale, Arizona, dem Mecca der Künstler und Galeristen, wo alles geboten wird - vom Wilden Westen, Impressionisten, Expressionisten, Realisten, Tonalisten, Modernen, bis zum Abstrakten. Mein Gott, wie konnte man nur jemals annehmen, dass die Amerikaner keine Ahnung von guter Kunst, Technik und Farben hätten? Die bekannten Künstlerkolonien Santa Fe und Taos in Neu-Mexiko waren sozusagen - nach amerikanischem Ausmaß - gleich um die Ecke und wurden vielfach von ihr aufgesucht. Später, als sich der Eiserne Vorhang hob, kamen die russischen Maler hinzu und danach die Fernost-Künstler, vor allem die chinesischen Maler, die den amerikanischen Markt eroberten.

Zusammen mit den Voralpenmalern schuf sich Brigitte ein Multi-Kulti der Kunst. Es eröffnete sich ihr eine Welt, die sie nicht für möglich gehalten hätte und die sie noch immer in ständiger Begeisterung hält. Die Krönung ihrer Arbeit war wohl der Auftrag der staatlichen St.Petersburg Kunstakademie (früher die Repin Kunstakademie genannt), die ihr die exklusiven Rechte für die USA Webseite zusicherten und für die sie mit einem der Direktoren die Rubrik "Art Life in St. Petersburg" bearbeiten durfte, damit die nicht-russischen Leser erfahren können, was in der St.Petersburg Akademie und Umgebung geboten wird: http://artroots.com/ra/index.html

Vierzehn Stunden am Tag, jahrelang am Computer mit Kunst und Genealogie beschäftigt,  - ja hat das Mädel denn kein anderes weitaus interessanteres Leben? - wurde ihr zunehmend klar, dass man über Deutschland, abgesehen von den üblichen bekannten Namen wie Dürer und Leibl nicht viel im Internet fand und wenn dann nur extrem moderne Arbeiten, bei denen man nicht wusste, wo vorne und hinten war! Da keimte die in ihrer Kindheit gepflanzte Saat und es drängte sie, ihre Heimat ins "Bild" zu stellen, um damit die einmalige und ganz außergewöhnliche Möglichkeit für jeden Kunstinteressierten zu schaffen, sich über oberbayerische Künstler (gewesen oder noch lebend) umfassend informieren zu können. Siehe: http://artroots.com/art/bavaria/index.html

Erschwert wird dieses Projekt, weil viele Galerien keine eigene Webseite besitzen und man in Europa sehr großen Wert auf das copyright legt, was man in Amerika etwas lässiger nimmt. Tapfer setzte sich Brigitte gegen viele Hindernisse und Engstirnigkeit durch. Als typischer Steinbock, immer mit dem Kopf durch die Wand, war es ihr möglich, mit viel Enthusiasmus, einem unglaublichen Einsatz an Zeit und Energie, sowie sehr hohen Kosten, das umfangreichste Lexikon für Künstler, Galerien und Museen ins Internet zu stellen, das je erarbeitet wurde. Die positive Resonanz und das große Interesse machen ihr Mut, diese Arbeit noch weiter auszubauen. Ihre Liebe zur Heimat wurde dadurch noch verstärkt und auch an ihre Kinder weitergegeben.

Brigitte hofft natürlich, dass sie noch viele Jahre arbeiten kann und Unterstützung von Städten, Museen, Galerien und Künstlern bekommt. 
Vielleicht erfüllt ja dieser Artikel ihren Wunsch....

Für Interessierte: www.artroots.com


Website von
Brigitte Gastel,
Scottsdale, Arizona, USA